WHO-Richtlinie sieht Konsum von Süßstoffen kritisch
In den Tee oder Kaffee stets ein paar Tröpfchen, Körnchen oder Tabletten konzentrierter Süße einwerfen? Besser nicht. Die Weltgesundheit (WHO) rät zur Zurückhaltung beim Konsum von Süßstoffen. Was heißt das für die Ernährungsberatung in der Zahnarztpraxis?
Die WHO empfiehlt, dass Süßstoffe (non-sugar sweeteners) nicht zur Kontrolle des Körpergewichts oder zur Senkung des Risikos für nichtübertragbare Krankheiten eingesetzt werden sollten [1]. Hintergrund dieser neuen Richtlinie ist, dass es vielen Menschen leichter fällt, keinen oder weniger Zucker zu essen, wenn sie diesen durch Süßstoffe ersetzen können. Ein geringerer Konsum von Zucker wäre wünschenswert, um Risiken für Fettleibigkeit und ernährungsbezogene nicht übertragbare Krankheiten wie Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu senken. Um Süßstoffe guten Gewissens zu empfehlen, muss man aber wissen, ob diese - langfristig betrachtet - überhaupt die gewünschte Gewichtsreduktion unterstützen. Und andererseits, ob Süßstoffe eventuell ungünstige Effekte auf die Gesundheit haben könnten.
Was die Studienlage hergibt: Ein von der WHO beauftragtes systematisches Review und eine Meta-Analyse ergaben, dass ein höherer Süßstoffkonsum im Vergleich zu keinem oder einem niedrigeren Süßstoffkonsum bei Erwachsenen zu einem niedrigeren Körpergewicht und Body-Mass-Index (BMI) führt [1]. Also: Wer von Zucker auf Süßstoff umsteigt, könnte zunächst einmal abnehmen. Allerdings scheint dies nicht über längere Zeit zu funktionieren und könnte überdies mit gesundheitlichen Risiken einhergehen: Langzeitbeobachtungen (prospektive Kohortenstudien) stellten bei höherem Konsum von Süßstoff eine Erhöhung des BMI und ein erhöhtes Risiko für Fettleibigkeit fest. Zudem ist nach der WHO-Analyse höherer, langfristiger Süßmittelkonsum mit Typ-2-Diabetes, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Mortalität bei Erwachsenen assoziiert [1], so dass ein erhöhtes Krankheitsrisiko bestehen könnte. Sicher ist dies aber nicht.
Einschränkend stellt die WHO fest, dass Teilnehmende der Langzeitbeobachtungen bereits eingangs bestehende, nicht entdeckte Krankheitsrisiken gehabt haben könnten. Zudem besitze die gesamte vorliegende Evidenz nur eine „niedrige bis sehr niedrige“ Vertrauenswürdigkeit („low to very low“). Die WHO gab ihrer Empfehlung daher eine Einschränkung mit auf den Weg („conditional recommendation“) [1].
Relativierend muss man zudem feststellen, dass Süßstoffe in der EU als Zusatzstoffe zulassungspflichtig sind und zwecks Zulassung hinsichtlich einer möglichen Toxizität überprüft werden.
Süßstoffe weiterhin für eine zahngesunde Ernährung empfehlen? Die Aktion Zahnfreundlich, bekannt durch das „Zahnmännchen“ mit dem roten Schirm, hat zu dieser Frage Stellung bezogen [2]. Sie plädiert dafür, dass Praxen weiter Süßstoffe als Alternativen zu freiem Zucker empfehlen sollten. Der erste Vorsitzende Prof. Stefan Zimmer befürwortet, „bei der Ernährungsberatung in der Zahnarztpraxis auf den Nutzen von Süßstoffen, insbesondere zum Süßen von Getränken sowie in Süßigkeiten und Kaugummis, hinzuweisen.“ Die höchste Sicherheit bestehe bei zahnfreundlich getesteten Produkten, die das Logo „Zahnmännchen mit Schirm" tragen. Die Aktion Zahnfreundlich sieht die Evidenz aus dem Review der WHO als nicht ausreichend an, um auf dieser Grundlage die Ernährungsberatung zu ändern. Sie sieht süßstoffgesüßte Lebensmittel als die zahnfreundliche, weil nicht kariogene Alternative zu zuckerhaltigen Lebensmitteln an und damit als eine gute Möglichkeit, die Zahngesundheit zu unterstützen. Unbestritten ist, dass ein hochfrequenter Zuckerkonsum, etwa aus Softdrinks oder Süßigkeiten, Karies stark begünstigt [3].
Besser noch: Ernährung umstellen! Besser, aber auch aufwändiger als das Ersetzen von Zucker wäre für viele Patientinnen und Patienten eine Ernährungsumstellung. Die WHO und Wissenschaftler in der Zahnmedizin sind sich einig, dass die Crux einer (zahn-)gesunden Ernährung der Ernährungsstil ist. Gesund für Zähne und Allgemeinbefinden ist eine ausgewogene, hauptsächlich pflanzenbasierte Vollwertkost [4]. Statt prozessierter Kohlenhydrate, wie Zucker oder auch Weißbrot, sollte zu Vollkornprodukten mit vielen Ballaststoffen gegriffen werden. Und die WHO sieht eine bessere Lösung für den Süßstoffkonsum im „Ersetzen von freiem Zucker in der Ernährung durch natürlich vorkommende Süße wie in Obst“ [1].
Möglicher Kompromiss: Die Ökotrophologin Dr. Ute Alexy beschrieb 2019 in der Fachzeitschrift Quintessenz Zahnmedizin „mit Süßungsmitteln gesüßte Alternativen zuckerhaltiger Getränke“ als einen „geeigneten Zwischenschritt“ auf dem Weg zum Zuckerverzicht [5]. Ähnlich gelagert könnte ein gangbarer Kompromiss in der aktuellen Situation aussehen: Süßstoffe gibt’s für alle, die ein hohes Kariesrisiko haben und (noch) nicht auf Süßigkeiten und gesüßte Getränke verzichten können …
Quellen:
[1] Use of non-sugar sweeteners: WHO guideline. Geneva: World Health Organization; 2023. Licence: CC BY-NC-SA 3.0 IGO., www.who.int/publications/i/item/9789240073616
[2] Aktion Zahnfreundlich e.V.: Stellungnahme zur neuen WHO-Richtlinie zur Nutzung von Süßstoffen; verfasst von Prof. Dr. Stefan Zimmer
[3] S2k-Leitlinie (Kurzversion) Kariesprophylaxe bei bleibenden Zähnen – grundlegende Empfehlungen. AWMF-Registernummer: 083-021 Stand: Juni 2016
[4] Wölber J. Einfluss der Ernährung auf die Mundgesundheit. Zahnmedizin up2date 2020; 14(5):379-394
[5] Alexy U. Sind Süßstoffe und Zuckeraustauschstoffe noch zeitgemäß? Quintessenz Zahnmedizin 2017; 68(8); online 16.04.2019; zuletzt abgerufen am 14.06.2023