Erhöhtes Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko durch Parodontitis?

Im Dezember vergangenen Jahres gab die Bundeszahnärztekammer (BZÄK) gemeinsam mit dem Bundesverband niedergelassener Kardiologen (BNK) bekannt, dass sie kooperieren, um gemeinsam gegen ein erhöhtes Herzinfarkt- und Schlaganfallrisiko durch Parodontitis anzugehen. Doch ist dieses wirklich „durch“ Parodontitis erhöht, besteht also eine kausale Verbindung zwischen Parodontitis und kardiovaskulären Erkrankungen? Was gibt es in der Zahnarztpraxis zu beachten?

Zunächst einmal: Sowohl Herz-Kreislauf-Erkrankungen als auch Parodontitis sind Erkrankungen mit hoher Prävalenz, die mit einem Verlust an Lebensqualität einhergehen. Herz-Kreislauf-Erkrankungen und ihre Folgen, Herzinfarkt und Schlaganfall, sind zudem die häufigste Todesursache in Europa: 45 % der Europäer versterben daran [2]. Es wäre also wünschenswert, präventive Ansätze mit Blick auf die Mundgesundheit zu erweitern.

Consensus-Report: Parodontitis und Herz-Kreislauf-Erkrankung korrelieren

Dass ein Zusammenhang zwischen den Erkrankungen besteht, wurde von Experten des Gebiets bereits vor 4 Jahren bestätigt. So wurde im Consensus-Report des gemeinsamen Workshops der European Federation of Periodontology und der World Heart Federation (WHF) in Madrid 2019 festgehalten, dass von einer Korrelation zwischen schwerer Parodontitis und Herz-Kreislauf-Erkrankungen auszugehen sei, die nicht von einer gemeinsamen (moderierenden) Einflussvariablen abhängig ist. Auf Basis der vorhandenen Studien wurde eine unabhängige/eigenständige Korrelation zwischen fortgeschrittener Parodontitis und Todesfällen in Zusammenhang mit Herz-Kreislauf-Erkrankungen festgestellt [2].

Weitere Evidenz: Die Pressemitteilung der BZÄK bezieht sich auf eine schwedische Kohortenstudie, die PAROKRANK-Studie [3]. In dieser Studie hatten Personen, die zu Beginn der Studie an einer Parodontitis litten, ein um 49 % höheres relatives Risiko, in den kommenden 6 Jahren einen Herzinfarkt, Schlaganfall oder eine schwere Herzinsuffizienz zu erleiden oder zu versterben als Patienten mit guter Zahngesundheit. Das Risiko für diesen primären Endpunkt war umso größer, je schwerwiegender die Zahnerkrankung war. Diese Proportionalität legt eine Ursache-Wirkung-Beziehung nahe.

Studienautorin Dr. Giulia Ferrannini, Karolinska Institut in Stockholm, stellte bei Veröffentlichung der Studie 2021 bereits fest, dass ein dentales Screeningprogramm mit regelmäßigen Check-ups und Aufklärung zur Dentalhygiene helfen könnte, erste sowie weitere Herz-Kreislauf-Ereignisse zu verhindern. Als Hypothese zum Wirkmechanismus postulierte Ferrannini, „…, dass die Beschädigung des parodontalen Gewebes bei Menschen mit Zahnbetterkrankungen Keimen den Weg in die Blutbahn erleichtern könnte. Dies könnte schädliche Veränderungen der Blutgefäße verstärken oder diese indirekt über eine systemische Entzündung schädigen.“ [4] Trotzdem kann (noch) nicht von einer kausalen Beziehung zwischen Parodontitis und Herzkreislauf-Erkrankungen ausgegangen werden. Die Studienautorin drückte sich auch dementsprechend zurückhaltend aus.

Hilft eine Parodontitis-Therapie Schlaganfälle oder Herzinfarkte zu vermeiden?

Das ist bisher leider noch nicht bekannt. Sowohl im Konsensusbericht als auch jüngst in 2 Cochrane-Reviews [5, 6] konnte hierfür keine Evidenz gefunden werden. Ein Cochrane Review, der die Wirkung parodontaler Behandlungen auf den Blutdruck untersuchte, fand immerhin eine Studie, die darauf hindeutet, dass eine parodontale Behandlung Bluthochdruck bei Menschen mit Bluthochdruck und chronischer Parodontitis positiv beeinflussen kann, aber die Sicherheit der Evidenz war moderat und der Einfluss ist nur über einen kurzen Zeitraum festgestellt [5]. Ein Review von 2022 konnte keine Evidenz finden, ob die Behandlung von Parodontitis dazu beitragen kann, das Auftreten oder Wiederauftreten von CVD zu verhindern [6]. An dieser Stelle muss weiter geforscht werden.

Aktuelle Empfehlungen für die Zahnarztpraxis

Auch wenn der Beweis für einen Kausalzusammenhang noch aussteht, so lautet die Empfehlung der Bundeszahnärztekammer, eine Parodontitisdiagnose der Hausärztin oder dem Hausarzt sowie der Kardiologin oder dem Kardiologen mitzuteilen.

Die Autoren des Madrider Konsensusberichts empfehlen darüber hinaus [2] …

  • Patentinnen und Patienten mit Parodontitis darüber zu informieren, dass sie ein erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall haben. Kardiovaskuläre Einflussfaktoren wie Rauchen, Bewegung, Gewicht, Blutdruck, Ernährung sowie Parodontitistherapie und Mundhygiene sollte diese Patientengruppe besonders ernst nehmen.
  • Patientinnen und Patienten mit Parodontitis und Herz-Kreislauf-Erkrankungen über ihr erhöhtes Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall aufzuklären. Empfohlene Maßnahmen im Rahmen der Parodontitistherapie und der Prävention sollten diese Patienten unbedingt wahrnehmen.
  • bei der Anamnese Befunde zu Risikofaktoren für Herz-Kreislauf-Erkrankungen zu dokumentieren (z. B. Diabetes, Fettleibigkeit) und Patientinnen und Patienten bei ungenügendem Management an die Hausärztin oder den Hausarzt zu verweisen.
  • bei Patientinnen und Patienten mit Herzkreislauferkrankungen ein Paroscreening durchzuführen (Sondieren und Erhebung des BOP an allen Zähnen). Falls die Patientin oder der Patient parodontal gesund ist, sollte in regelmäßigen Abständen ein Monitoring durchgeführt werden und die Aufnahme in das Prophylaxe-Recall erfolgen.
  • bei Patienten mit Parodontitis und Herz-Kreislauf-Erkrankungen die nicht-chirurgische Therapie in mehreren Sitzungen von 30-45 Min durchzuführen, um die akute systemische Entzündung durch Scaling und Rootplanning möglichst gering zu halten.

Weitere Empfehlungen für chirurgische Parodontaltherapie sind im Consensus-Report [2] nachzulesen.

 

Literatur

[1] Erhöhtes Herzinfarkt- und Schlaganfall-Risiko durch Parodontitis. Pressemitteilung des Bundesverbands der Niedergelassenen Kardiologen (BNK) und der Bundeszahnärztekammer (BZÄK). München/Berlin, 08. Dezember 2022

[2] Sanz M, et al. Periodontitis and Cardiovascular Diseases. Consensus Report. Global Heart. 2020; 15(1): 1. DOI: https://doi.org/10.5334/gh.400

[3] G Ferrannini, A Norhammar, M Almosawi, B Kjellstrom, K Buhlin, U De Faire, A Gustafsson, L A Nygren, P Nasman, B Lindahl, U Naslund, E Svenungsson, B Klinge, L Ryden, Periodontitis and cardiovascular outcome – a prospective follow-up of the PAROKRANK cohort, European Heart Journal, Volume 42, Issue Supplement_1, October 2021, ehab724.1120, https://doi.org/10.1093/eurheartj/ehab724.1120

[4] Pressemitteilung der ESC: Gum disease linked with new onset heart disease, veröffentlicht am 23.08.2021

[5]Luo Y, Ye H, Liu W, Lv Z, Jia Y, Li C, Zhang Y. Effect of periodontal treatments on blood pressure. Cochrane Database of Systematic Reviews 2021, Issue 12. Art. No.: CD009409. DOI: 10.1002/14651858.CD009409.pub2.

[6] Ye Z, Cao Y, Miao C, Liu W, Dong L, Lv Z, Iheozor-Ejiofor Z, Li C. Periodontal therapy for primary or secondary prevention of cardiovascular disease in people with periodontitis. Cochrane Database of Systematic Reviews 2022, Issue 10. Art. No.: CD009197. DOI: 10.1002/14651858.CD009197.pub5. Accessed 13 February 2023.