Die Aufforderung „Sie sollten Ihre Zähne besser putzen!“ bringt nichts

Eine adäquate Mundhygiene ist die Basis für Karies- und Parodontitis-Prävention sowie für dauerhafte Erfolge in der Parodontitis-Therapie. Studien zeigen allerdings, dass die wenigsten das Ziel des Zähneputzens – weitgehend plaquefreie Zähne – erreichen. Warum das so ist und wie man sich diesem Ziel annähern könnte, damit befassen sich zwei neue Studien der Arbeitsgruppe um Prof. Dr. Renate Deinzer am Institut für Medizinische Psychologie der Justus-Liebig-Universität Gießen.

Die Studien setzen bei der Selbstwahrnehmung von Patientinnen und Patienten an und decken Hemmnisse für adäquates Zähneputzen auf, die im eigenen Konzept von Mundhygiene liegen: dem Überschätzen der eigenen Putzfähigkeiten und ein fehlgeleiteter Fokus auf die Dauer des Putzens anstatt auf die Systematik – Quantität statt Qualität.

Hemmnis 1: Selbstüberschätzung

Die Gießener Arbeitsgruppe publizierte 2022 verschiedene Teilstudien unter dem Titel "Patients’ awareness regarding the quality of their oral hygiene: development and validation of a new measurement instrument“ im Journal „BMC Oral Health“ [1]. Darin beschreiben sie die Entwicklung und Validierung eines Fragebogens zur Eigeneinschätzung von Mundhygienefähigkeiten als ein neues Instrument. Dieser Fragebogen zur „Self-perceived oral cleanliness“, kurz SPOC, basiert auf einem simplen Plaque-Index. Die Fragen folgen dem Muster „Schätzen Sie, wie viele Bereiche der Zahninnenseiten im Unterkiefer rechts Sie sauber geputzt haben“. Mögliche Antworten liegen auf einer Skala von „nicht sauber“ bis „vollkommen sauber“ und können entweder nach einfacher Selbsteinschätzung gegeben werden oder nach einer vorherigen Instruktion dazu, wie Zahnmediziner einen Plaque-Index erheben (nach: „Standards of a dentist“).

Die Forschergruppe testete SPOC an unterschiedlichen Studienteilnehmern: Erwachsenen (n=56), Kindern und Jugendlichen mit einem Elternteil (n=66+66) sowie an Studierenden (n=24) in drei methodisch unterschiedlichen Teiluntersuchungen zur Einschätzung von Anwendbarkeit, Zuverlässigkeit und Validität des digitalen Fragebogens. Dieser wurde stets direkt nach dem Zähneputzen von den Probandinnen und Probanden ausgefüllt, was durchschnittlich ca. 5 Minuten in Anspruch nahm. Interessanterweise wurde im zweiten Teil der Untersuchung die Differenz zwischen Selbsteinschätzung und dem tatsächlichen Putzerfolg erfasst, mittels des Marginal Plaque Index (MPI). Dieser wurde gewählt, da Plaque am Zahnfleischrand relevant für die Entstehung von Gingivitis und Parodontitis ist.

Ergebnis: Der Fragebogen erwies sich in der Untersuchung in allen Teilen als gut anwendbar, valide und zuverlässig bei allen getesteten Gruppen. Beim Einsatz dieses Fragebogens zeigte sich auch: Alle Studiengruppen in Teilstudie 2 schätzten die Sauberkeit ihrer Zähne am Zahnfleischrand als sehr hoch ein. Im Mittel gingen sie davon aus, dass sie etwa 70 Prozent der Messstellen am Zahnfleischrand sauber geputzt hatten – tatsächlich waren aber nur um die 30 Prozent dieser Flächen plaquefrei.

Hemmnis 2: irregeleitete Zielsetzung der Putzbemühung – Quantität statt Systematik

Aufbauend auf verschiedenen Vorgängerstudien verglich die Gießener Arbeitsgruppe in einem RCT zwei Gruppen hinsichtlich des „gewöhnlichen Zähneputzens“ und eines „bestmöglichen Putzens“. Unter dem Titel „You should brush your teeth better“ wurde die Studie ebenfalls in BMC Oral Health veröffentlicht [2]. Die Wissenschaftler wollten herausfinden, ob ein bestmögliches Putzen im Vergleich zu einem gewohnheitsmäßigen Putzen in a) Unterschieden im Putzverhalten b) einem besseren Putzergebnis und c) in einem höheren Grad an subjektiv wahrgenommener Sauberkeit der Zähne resultiert.

Für das RCT wurden 111 Studierende randomisiert auf 2 Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe erhielt die Anweisung „wie immer zu putzen“, die andere sollte „bestmöglich“ putzen. Der Putzvorgang wurde per Videoanalyse aufgezeichnet und ausgewertet. Nach dem Putzen wurde der MPI erhoben und der SPOC-Fragebogen von den Studierenden beantwortet zur Erhebung der Selbsteinschätzung hinsichtlich ihres Putzergebnisses.

Die Probanden für „bestmögliches Putzen“ putzten ihre Zähne länger und führten öfter eine Interdentalreinigung durch (a). Beide Gruppen hatten Plaque an den Zahnfleischrändern nur in geringen Teilen entfernt (b; keine signifikanten Unterschiede). Die SPOC-Ergebnisse waren in der Gruppe des bestmöglichen Putzens jedoch höher (c). Das heißt: Die Versuchspersonen, die „so gründlich wie möglich“ putzen sollten, putzten ihre Zähne zwar ausdauernder und verwendeten häufiger Zahnseide – ihre Zähne waren jedoch nicht sauberer als die der Teilnehmerinnen und Teilnehmer aus der Vergleichsgruppe. Denn beide Gruppen vernachlässigten gleichermaßen ihre Zahninnenflächen. Auch hinsichtlich der Zahnputztechniken unterschieden sie sich nicht, und bei der Zahnzwischenraumpflege machten sie dieselben Fehler. Die Gruppe, die sich besonders angestrengt hatte, glaubte aber, die Zähne weitgehend gesäubert zu haben – war sich also, wie schon die Probanden der oben beschriebenen Studie, ihrer Defizite nicht bewusst.

Relevanz für die Praxis: Der SPOC-Fragebogen zur Selbsteinschätzung der eigenen Zahnputzfertigkeiten ermöglicht der Behandlerin/dem Behandler, sich die Selbstwahrnehmung von Patientinnen und Patienten hinsichtlich ihrer Mundhygienefähigkeiten zu vergegenwärtigen. Der SPOC-Fragebogen kann dazu beitragen, ein gemeinsames Verständnis für Ziele des Zähneputzens (z. B. Plaque-Entfernung auch am Zahnfleischrand) zu entwickeln und spezifische, erreichbare und evaluierbare Ziele der Mundhygieneschulung zu vereinbaren. Zudem müssen sich Menschen ihrer Defizite überhaupt[GS1]  erst einmal bewusst sein, um diese aktiv anzugehen. Wer dieses Bewusstsein weckt, hat eventuell mehr Erfolg bei der Mundhygiene-Instruktion: Haben Patienten Einsicht in die eigenen mangelhaften Fertigkeiten, sind sie eher bereit, Zeit und Mühe zu investieren, um das Zähneputzen noch einmal neu zu lernen.

 

Quellen

[1] Eidenhardt, Z., Busse, S., Margraf-Stiksrud, J. et al. Patients’ awareness regarding the quality of their oral hygiene: development and validation of a new measurement instrument. BMC Oral Health 22, 629 (2022).
https://doi.org/10.1186/s12903-022-02659-4

[2] Weik, U., Shankar-Subramanian, S., Sämann, T. et al. “You should brush your teeth better”: a randomized controlled trial comparing best-possible versus as-usual toothbrushing. BMC Oral Health 23, 456 (2023).
https://doi.org/10.1186/s12903-023-03127-3

 [GS1]Füllwort - würde ich weglassen!