Psyche und Mundgesundheit – keine Einbahnstraße: die Wirkungen der Psyche auf den Mund, die Zähne und das Weichgewebe

Psyche und Mundgesundheit wirken wechselseitig aufeinander ein: Einerseits können psychosoziale Aspekte für die Mundgesundheit eine wichtige Rolle spielen, andererseits können orale Erkrankungen Patientinnen und Patienten in ihrem Allgemeinbefinden und in sozialen Interaktionen stark beeinträchtigen.

Die Psyche rückt mehr und mehr in das Zentrum zahnmedizinischer Forschung. Ganz unterschiedliche Verknüpfungen werden in Studien untersucht, wie in den folgenden Punkten dargestellt wird. Seit Kurzem wird sogar nach Möglichkeiten der Prävention psychischer Erkrankungen mit Blick auf die Mundgesundheit geforscht. Ein interessantes Forschungsgebiet eröffnet sich an dieser Stelle!

5 Aspekte zur Verknüpfung von Psyche und Mundgesundheit

  1. Psyche und zahn-/mundbezogene Beschwerden: Eine Pionierin auf diesem Gebiet, Professorin Anne Wolowski, beleuchtet in ihrer Forschung den psychosozialen Hintergrund zahnmedizinischer Beschwerdebilder [1]. Sie untersucht, für welche Erkrankungen psychosoziale Faktoren eine Rolle spielen. Sie identifizierte u. a. die kraniomandibuläre Dysfunktion (CMD), Bruxismus, okklusale Dysästhesie (Beschwerden ausgehend von der Okklusion ohne hinreichenden zahnmedizinischen Befund) sowie somatoforme Prothesenunverträglichkeit (empfundene Unverträglichkeit ohne entsprechenden Befund) als Erkrankungen, für die psychosoziale Aspekte bedeutsam sind. So wird die Ätiologie des Bruxismus heute stärker in unverarbeitetem Stressempfinden und weiteren psychosozialen Faktoren gesehen als etwa in einer Okklusionsstörung.
    Auch CMD wird heute als multifaktorielles Krankheitsgeschehen beschrieben, bei dem - individuell unterschiedlich­ - Faktoren wie Angst, Depression, Kontrollverlust hinsichtlich der eigenen Gesundheit sowie insbesondere schlecht verarbeiteter, belastender Alltagsstress eine wichtige Rolle spielen. Wobei die „psychosozialen Auffälligkeiten sowohl Ursache als auch Folge“ sein können, wie Wolowski schreibt [1].
     
  2. Subjektiv erlebte Belastung durch Zahn-/Mundprobleme: Wie nehmen Patientinnen und Patienten die eigene Zahnerkrankung wahr? Wie stark belasten Kreidezähne betroffene Kinder verglichen mit Karies? Empfinden Parodontitis-Patientinnen und -Patienten beim Essen funktionale Beeinträchtigungen? Mithilfe des Konzepts der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität (Oral Health-Related Quality of Life) können solche subjektiv erlebten Einschränkungen durch mundgesundheitsbezogene Probleme erfasst und in der Therapie berücksichtigt werden. Zur Erfassung der mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität setzt die Forschung den Oral Health Impact Profile (OHIP) Fragebogen ein, der unter anderen Faktoren auch die psychosoziale Beeinträchtigung abfragt [2,3]. Eine Pubmed-Suche für „OHIP“ ergab allein für die Jahre 2020-23 erstaunliche 895 Treffer, was zeigt, dass die Forschung boomt!
     
  3. Halitosis und die Psyche: Eine Erkrankung, die die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität hinsichtlich ihrer psychosozialen Komponente stark einschränkt, ist Halitosis. Eine Metaanalyse von Briceag und Kollegen ergab, dass Jugendliche und junge Erwachsene, die Mundgeruch an sich wahrnahmen, stärker unter Ängsten und Depressionen litten und sich eher sozial zurückzogen als ihre nicht betroffenen Altersgenossen. Ein Therapieansatz, der nicht allein die Zahnmedizin fokussiert, sondern auch die soziale und psychologische Ebene berücksichtigt, wäre bei Halitosis daher offenbar sinnvoll [4].
     
  4. Zusammenhang zwischen psychischen Problemen und Mundgesundheitserleben? Darüber, wie sich psychische Beeinträchtigungen auf die Wahrnehmung der eigenen Mundgesundheit auswirken, lässt sich momentan nur spekulieren. Eine Studie, die die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität von Menschen mit Depressionen bzw. ADHD (attention-deficit/hyperactivity disorder) mit einer Gruppe psychisch Gesunder verglich, stellte zwar eine reduzierte mundgesundheitsbezogene Lebensqualität der psychisch Beeinträchtigten fest, allerdings bewertete die Gruppe das eigene Mundgesundheitsverhalten nicht stimmig passend zur wahrgenommenen mundgesundheitsbezogenen Lebensqualität. Die Kluft zwischen den Selbstbewertungen hinsichtlich Präventionsverhalten und mundgesundheitsbezogener Lebensqualität ist noch nicht schlüssig erklärbar [5].
     
  5. Stress als gemeinsamer Faktor von psychischen Problemen und Mundgesundheitserleben? Ganz ähnlich gelagert wie die Studie in Punkt 4 sind die Untersuchungen von Psychologieprofessorin Cornelia Herbert an der Universität Ulm [6]. In 2 Fragebogenerhebungen untersuchte sie den Zusammenhang zwischen präklinischen Symptomen psychischer Erkrankungen und der Wahrnehmung der eigenen Zahngesundheit. Nach ihren Erhebungen scheint es einen Zusammenhang zwischen selbst berichteten Mundgesundheitsproblemen und selbst berichteten depressiven Symptomen und Anzeichen für Essstörungen zu geben. Stressempfinden könnte die Verbindung zwischen beiden sein. Die Autorin hinterfragt, ob berichtete Mundgesundheitsprobleme ein Vorhersageparameter für ein erhöhtes Risiko einer psychischen Erkrankung sein könnten. Sie geht der Fragestellung nun im Rahmen eines größeren Forschungsprojektes an der Universität Ulm nach. Dieses wird in Kooperation der Zahnheilkunde und der Psychologie unter dem Titel „Mundgesundheit und Psyche – PSY-ORAL“ auch weitere psychische Faktoren untersuchen - mit dem Ziel, psychologische Präventionsprogramme zu entwickeln.

Quellen:

  1. Wolowski A, Schneider HJ, Eger T. Zahnmedizinische Beschwerdebilder mit psychosozialem Hintergrund [Dental disorders with a psychosocial background]. Bundesgesundheitsblatt Gesundheitsforschung Gesundheitsschutz. 2021 Aug;64(8):951-958. German. doi: 10.1007/s00103-021-03369-y. Epub 2021 Jul 1. PMID: 34212207; PMCID: PMC8316243.
  2. Sekulic S, John MT, Häggman-Henrikson B, Theis-Mahon N. Dental patients' functional, pain-related, aesthetic, and psychosocial impact of oral conditions on quality of life-Project overview, data collection, quality assessment, and publication bias. J Oral Rehabil. 2021 Mar;48(3):246-255. doi: 10.1111/joor.13045. Epub 2020 Jul 23. PMID: 32628288; PMCID: PMC7785662.
  3. Su N, van Wijk A, Visscher CM. Psychosocial oral health-related quality of life impact: A systematic review. J Oral Rehabil. 2021 Mar;48(3):282-292. doi: 10.1111/joor.13064. Epub 2020 Aug 14. PMID: 32761938; PMCID: PMC7984127.
  4. Briceag R, Caraiane A, Raftu G, Horhat RM, Bogdan I, Fericean RM, Shaaban L, Popa M, Bumbu BA, Bratu ML, Pricop M, Talpos S. Emotional and Social Impact of Halitosis on Adolescents and Young Adults: A Systematic Review. Medicina (Kaunas). 2023 Mar 14;59(3):564. doi: 10.3390/medicina59030564. PMID: 36984565; PMCID: PMC10057342.
  5. Gemp S, Ziebolz D, Haak R, Mauche N, Prase M, Dogan-Sander E, Görges F, Strauß M, Schmalz G. Oral Health-Related Quality of Life in Adult Patients with Depression or Attention Deficit Hyperactivity Disorder (ADHD). J Clin Med. 2023 Nov 20;12(22):7192. doi: 10.3390/jcm12227192. PMID: 38002804; PMCID: PMC10672471.
  6. Herbert C. Oral health and mental health in healthy adults, a topic of primary prevention and health care, empirical results from two online studies. Current Psychology (2023) 42:32110-32124