Direkte Komposit-Versorgungen verdienen Vertrauen
Auf der gemeinsamen Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Prothetische Zahnmedizin und Biomaterialien (DGPro) und der Deutschen Gesellschaft für Zahnerhaltung (DGZ) vom 13. bis 15. Juni 2024 in Leipzig wurde die neue S3-Leitlinie zur direkten Kompositrestauration vorgestellt. Die Leitlinie und die Erkenntnisse der renommierten Expertinnen und Experten des Kongresses zeigen: Komposit verdient Vertrauen und direkte und indirekte Versorgungen rücken zusammen.
Im Mai dieses Jahres wurde die neue S3-Leitlinie „Direkte Kompositrestaurationen an bleibenden Zähnen im Front- und Seitenzahnbereich“ vorgestellt [1], die die bisherige S1-Handlungsempfehlung aus dem Jahr 2016 ablöst. Sie stellt die erweiterte Frage, „wie das Überleben und das qualitative Outcome von direkten Kompositrestaurationen im Front- und Seitenzahnbereich im Vergleich zu direkten und indirekten alternativen Versorgungsarten auf Basis der derzeit verfügbaren Evidenz zu bewerten ist“ und umfasst alle Kavitätenklassen zuzüglich Höckerersatz und Zahnformkorrekturen [1]. Auf dem Kongress wurde sie in einer interaktiven Sitzung von den Heidelberger Leitlinienautorinnen Prof. Diana Wolff und Prof. Dr. Cornelia Frese vorgestellt sowie von Dr. Caroline Sekundo, die die Literatur für die Leitlinie gemeinsam mit einer Kollegin ausgewertet hatte.
Die neuen Empfehlungen: 5 aus 17
Auf Basis der zusammengefassten Evidenz formulierte die Konsensuskonferenz der Experten und Expertinnen in den Leitlinien 17 Empfehlungen. Einige davon wurden in der interaktiven Sitzung vorgestellt bzw. auch in weiteren Referaten kommentiert.
- Zunächst erstaunt es, dass die direkte Versorgung mit Komposit bei Klasse-I- und Klasse-II-Restaurationen nur eine offene Empfehlung (Empfehlung 1 – Vergleichsmaterialien Amalgam, Glasionomerzement, Keramik) erhalten hat. Man „kann“ diese direkt mit Komposit versorgen. Diese schwache Empfehlung resultiert aus einem „Daten-Gap“ – die einbezogenen Studien gaben nicht mehr her und die Vergleichskriterien waren zu Ungunsten der direkten Komposit-Versorgung angelegt: Sie beinhalteten Retention, Fraktur und Sekundärkaries, jedoch nicht Ästhetik oder Invasivität der Restauration. „Reine Kompositstudien“ an Erwachsenen ohne Vergleichs-Restaurationsmaterial fallen positiver aus.
- Dagegen „sollen“ zur Restauration von Defekten der Klassen III und IV direkte Kompositmaterialien zur Anwendung kommen (Empfehlung 7; Vergleichsmaterial: Kompomer, Glasionomer).
- Als eines der „überraschendsten Ergebnisse“ charakterisierte Prof. Wolff Empfehlung 5, die besagt, dass Kompositrestaurationen bei Kavitäten mit begrenztem Höckerverlust im Seitenzahnbereich angewendet werden können. Dies ist der Fall, da die Literatur modernen Kompositmaterialien eine adäquate Frakturresistenz und Abrasionsstabilität für diese Indikation bescheinigt.
- Hervorragende Langzeit-Überlebensraten zeigen Zahnformkorrekturen mit Komposit im Frontzahnbereich. Entsprechend haben diese in der Leitlinie auch eine starke Empfehlung erhalten (Empfehlung 9).
- Klasse-V-Versorgungen (bei Gewährleistung adäquater Kontaminationskontrolle mit Kompositmaterialien möglich): dafür „sollten“ 2-Schritt-Self-Etch-, 3-Schritt-Etch-and-Rinse-Adhäsivsysteme oder Universaladhäsive zur Anwendung kommen, um eine erfolgreiche Langzeitretention zu gewährleisten (Empfehlung 13).
Die Leitlinie kann downgeloaded werden aus dem AWMF-Leitlinienregister: https://www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/083-028.html
Direkte Versorgung mit Komposit: Da geht mehr!
Ein Beispiel für den allgemeinen Trend, dass die Indikationen für direkte und indirekte Versorgungen zusammenrücken, ist die Evidenz für die Langlebigkeit großer direkter Versorgungen. Prof. Dr. Anne-Katrin Lührs (Hannover) verwies hier auf eine aktuell veröffentlichte Langzeitstudie über 15 Jahre für große direkte Komposit-Versorgungen. Darin konnte eine akzeptable jährliche Verlustrate von 1,7 % sowie eine kumulative Überlebensrate von 74,7 % festgestellt werden [2]. Entscheidend erwies sich in dieser Studie für das Überleben der Restauration die Anzahl der ersetzten Höcker. Daher: Beim Ersatz von mehr als einem Höcker ist dann offenbar doch Zurückhaltung angebracht.
Dagegen: Die verbreiteten Vorbehalte gegenüber der Dentinadhäsion sind nach den Erkenntnissen von Prof. Lührs in Hinsicht auf neuere Adhäsivsysteme nicht gerechtfertigt, da diese einen guten Haftverbund ermöglichen – eine adäquate Kontaminationskontrolle immer vorausgesetzt [2,3].
Fazit: Auch wenn die Indikationen für direkte Kompositrestaurationen sich stetig ausweiten, so sind für die Therapieentscheidung in der Praxis doch auch weitere Faktoren relevant: die eigene Expertise in der anspruchsvollen direkten Technik, Patientenfaktoren und der Zeitaufwand, um nur einige zu nennen.
Literatur
1 DGZ, DGZMK: S3-Leitlinie „Direkte Kompositrestaurationen an bleibenden Zähnen im Front- und Seitenzahnbereich“, Langfassung, Version 2.0, 2024, AWMF-Registriernummer: 083-028, www.awmf.org/leitlinien/detail/ll/083-028.html, (Zugriff am: 19.08.2024)
2 Hofsteenge JW, Scholtanus JD, Özcan M, Nolte IM, Cune MS, Gresnigt MMM. Clinical longevity of extensive direct resin composite restorations after amalgam replacement with a mean follow-up of 15 years. J Dent. 2023 Mar;130:104409. doi: 10.1016/j.jdent.2023.104409. Epub 2023 Jan 6. PMID: 36623686.
3 Lehmann A, et al. Awareness of possible complications associated with direct composite restorations: A multinational survey among dentists from 13 countries with meta-analysis. J Dent. 2024 Jun;145:105009. doi: 10.1016/j.jdent.2024.105009. Epub 2024 Apr 20. PMID: 38643866.