Digitalisierung Teil 7/3:

Reanimation der ePA und der Plan zum Opt-out

Die aktuelle Entwicklung und die Berichterstattung anlässlich der neuen Digitalstrategie von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat uns bewogen, das Thema elektronische Patientenakte doch noch einmal für Sie aufzunehmen. Tenor der Medienberichterstattung war, dass Patientinnen und Patienten kein ausreichendes Interesse an der ePA gezeigt hätten, schließlich habe nicht einmal 1 Prozent der gesetzlich Versicherten die eigene Akte aktiviert. Denn: dies sei zu kompliziert. Hier möchte unsere Autorin widersprechen.

Ein kurzer Rückblick auf Teil 1 und 2 dieser Beitragsserie: Ich habe Ende vergangenen Jahres einen ePA-Selbstversuch gemacht, die ePA-App meiner Krankenkasse installiert und meine ePA aktiviert. Ein bisschen umständlich, aber es hat funktioniert. Die Ernüchterung kam beim Besuch verschiedener Arztpraxen. Keine einzige Praxis, weder Hausärztin noch Zahnarzt, konnte aktuelle Dokumente in der ePA speichern. Daher empfinde ich es nun als ungerecht, dass der „schwarze Peter“ den angeblich desinteressierten Patientinnen und Patienten zugeschoben wird. Denn: Was hätten sie denn von der Aktivierung ihrer ePA bisher gehabt?

Der Stand der Dinge: Momentan befindet sich die ePA in der Entwicklungsstufe 2.0 im Rollout. Um diese Version nutzen zu können, benötigen Praxen einen Konnektor der Produkttypversion 5 (PTV 5) und ein weiteres Update des Moduls des Praxisverwaltungssystems (PVS) für die ePA. Diese Version unterstützt etwa die Verarbeitung von Medizinischen Informationsobjekten (MIO), wie dem elektronischen Zahnarzt-Bonusheft und ermöglicht den Patienten eine abgestufte Berechtigungsvergabe für die ePA-Inhalte. Die Information zu den Ausbaustufen findet man z.B. im „Kleingedruckten“ auf der Website der gematik [1]. Erst in der nächsten Ausbaustufe soll es möglich werden, sogenannte strukturierte Daten direkt aus den Praxisverwaltungssystemen (PVS) zu übertragen.

Wie müssen Daten derzeit aus Praxisverwaltungssystemen in die ePA übertragen werden? Vielleicht wissen Sie das ohnehin, weil Sie die Funktion nutzen. Falls nicht: Im Tutorial eines führenden PVS-Anbieters erfuhr ich, dass die Datenübertragung zumindest bei diesem Hersteller über ein mehrschrittiges Verfahren läuft: Mehrere Dialogfenster müssen für die Metadaten eines Dokuments ausgefüllt werden, um bereits in der PVS vorhandene Daten z.B. im pdf- oder jpg-Format in der Akte zu speichern. Einfach per Drag and Drop oder mit einem Mausklick, wie es sich beispielsweise die Kassenärztliche Vereinigung gewünscht hätte, geht das jedenfalls nicht [2].

Der Plan: Nun soll das „Opt-out-Modell“ die Misere um die vor 20 Jahren angeschobene ePA beheben. Derzeit bereitet die gematik bereits einen „Bauplan“ für diese Variante der ePA vor. Nach Auskunft der Pressestelle der gematik ist bis Sommer diesen Jahres mit der Veröffentlichung dieses Bauplans („Spezifikation“) zu rechnen. Opt-out bedeutet, dass jeder und jede mit Geburt eine elektronische Patientenakte erhält, die wiederum automatisch in der Versorgung genutzt wird. Falls nicht gewünscht, muss Widerspruch eingelegt werden. Nach der neuen Digitalisierungsstrategie, die Bundesgesundheitsminister Lauterbach am 09.03.2023 vorstellte [3], soll die Digitalisierung im Gesundheitswesen dadurch insgesamt vorangebracht werden. 80% aller gesetzlich Versicherten sollen über das geplante neue Digitalgesetz die ePA bis Ende 2024 besitzen. Ein Gesundheitsdatennutzungsgesetz soll es der Forschung und der Industrie zudem künftig ermöglichen, pseudonymisierte Gesundheitsdaten zu nutzen. Auch ePA-Daten sollen in das künftige System digitaler Daten hineinlaufen.

Kritik der KZBV und BZÄK: Die gematik soll in eine 100%ige Trägerschaft des Bundes übergehen, d.h. die Organisationen der Selbstverwaltung haben in der Weiterentwicklung der Digitalisierung im Gesundheitswesen kein Stimmrecht mehr. Hier wird seitens der KZBV und BZÄK befürchtet, dass es zu noch weniger Akzeptanz der Telematik seitens der (Zahn-)Ärzteschaft sowie zu einem niedrigeren Datenschutzniveau kommen könnte [4].

Nun müssen diese Gesetzesvorhaben erst einmal beschlossen werden und die Spezifikation der gematik vorliegen. Sogar wenn alles wie geplant seiner Wege gehen sollte, bleiben folgende Knackpunkte bestehen:

Das Kommunikationsproblem: Kaum jemand kennt die ePA. Auch wenn Patienten die ePA über Opt-out zugewiesen bekommen, heißt dies nicht, dass sie auch genutzt wird. Solange Patientinnen, Patienten, (Zahn-)Mediziner und Medizinerinnen und die  Praxisteams keine konkrete Vorstellung vom Nutzen der ePA haben, wird sich wohl weiterhin wenig tun.

Komfortable, kompatible IT-Lösungen: Für alle Seiten müsste es einfacher werden, die ePA sinnvoll zu nutzen. Dazu wäre ein allseits akzeptiertes Datenkonzept seitens der gematik notwendig, für eine weitgehend automatisierte Datenbefüllung der ePA aus den PVS heraus. Mit einem Mausklick. Auch an eine unkomplizierte Datenextraktion müsste gedacht werden. Um die Daten für die Wissenschaft verwertbar zu machen, müssten strukturierte Daten per Mausklick übertragbar werden. Ob es so kommt, bleibt abzuwarten.

Dagmar Kromer-Busch

Quellen:

  1. Nationale Agentur für Digitale Medizin - gematik: https://www.gematik.de/anwendungen/e-patientenakte/
  2. KBV: Praxisinfo: elektronische Patientenakte - Anwendungen in der TI; pdf zum Download Praxisinfo: elektronische Patientenakte - Anwendungen in der TI (kbv.de)
  3. Pressemitteilung des Bundesgesundheitsministeriums vom 09.03.2023. https://www.bundesgesundheitsministerium.de/presse/pressemitteilungen/digitalisierungsstrategie-vorgelegt-09-03-2023.html
  4. Pressemitteilungen der BZÄK vom 09.03 und KZBV vom 10.02.2023